HOLE OF FAME

15. Oktober
Olav Amende "abwesenheiten" & Patrick Wilden "Schreibers Ort. Suite karkonosque"
15. Oktober
Begin: 20:30 Uhr
Auf Spendenbasis
Olav Amende und Patrick Wilden sind zwei Lyriker aus Leipzig und Dresden, die kürzlich im Kölner Lyrikverlag „parasitenpresse“ veröffentlichten. Für das Hole of Fame lesen sie gemeinsam aus ihren Werken abwesenheiten und Schreibers Ort


Olav Amende: abwesenheiten

Im Langgedicht abwesenheiten von Olav Amende begegnen wir einer Welt der Parallelitäten, in der die Dinge losgelöst und doch miteinander verbunden simultan geschehen. Die Zeit scheint stehen geblieben, die Welt verlassen und menschenleer. Dennoch treten Menschen auf. Wir betrachten sie aus einer Distanz, als gehörten wir nicht zu ihnen und ihrer Welt. Wir sehen ihren Tätigkeiten zu, hören ihr Schlurfen auf den Straßen, entgehen aber ihrem Blick. Ein Sound aus Wiederholungen und Auslassungen treibt den Text voran.

Und dann / ist der regen / verklungen / und was bleibt ist das / treiben der in den weiher / gesunkenen unken und / das tropfen von dem klatschnassen geäst der / weiden und der pappeln / in den wäldern und das / tropfen von den glänzenden blütenblättchen der / astern in der warmen abendsonne und das / tropfen von den dampfenden / sich fast wieder aufgerichteten grashalm- / spitzen und das / tropfen von den / hüpfburgzinnen und den / zinkdachrinnen der stadtvillen


Olav Amende
, geboren in Berlin, ist Schriftsteller, Regisseur und Performancekünstler. Er hat Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (MA) an der Universität Leipzig studiert. Er schreibt und inszeniert Theaterstücke und veröffentlichte Texte in diversen Literaturmagazinen. Sein Gedicht Phantasie in Eile wurde im Rahmen der Superpreis-Anthologie des Literaturmagazins metamorphosen veröffentlicht. Im Sommer 2021 brachte er sein Theaterstück ZWISCHEN DINGEN am Anhaltischen Theater Dessau zur Uraufführung.


Stimmen zu
abwesenheiten: „‚Gedicht‘ steht unterm Titel. Aber eigentlich sind es zwei Gedichte, zwei ganz große, stille, lange. So in der Dimension von Cardenal oder Whitman, auch wenn die Landschaft, die Olav Amende beschreibt, die Stadt ist. Möglicherweise Leipzig. Eines, wie nur er es sieht. Oder gesehen hat – etwa in den ersten Wochen des Lockdowns 2020, an den sich heute kaum noch jemand erinnert. (…) Was so erscheint, ist natürlich die Poesie der Welt, eine von Stille erfüllte. Man darf sie wieder hören – die Vögel, die Insekten, die Regentropfen. Amende muss sie gar nicht besingen. Indem er benennt, was gerade geschieht, lenkt er den Blick. Richtig starke Poesie kommt ohne Kommentar aus. (…) Man kann dieses Gedicht auch als Projektion lesen in eine Zukunft, in der es den Menschen mit seinem rücksichtslosen Umgang mit der Welt nicht mehr gibt. Er seine eigenen Lebensgrundlagen zerstört hat und eine Welt zurückbleibt, in der nur noch für eine gewisse Zeit seine Artefakte davon zeugen, dass er da war. Bevor Wind, Regen, Hagel und Sonne ihr wohltuendes Werk verrichten und die Dinge wieder zu Staub verwandeln.“ (Ralf Juhlke, Leipziger Zeitung)



Patrick Wilden,
Schreibers Ort. Suite karkonosque

In seinem Gedichtband Schreibers Ort unternimmt Patrick Wilden dichterische Erkundungen in und rund um Agnetendorf, einem Ort wie einer Region im Umkreis des Riesengebirges in Polen. Und es liegt nahe, dass es dem Autor zugleich um ein sich ins Verhältnis Setzen mit (kultur-) historischen Räumen geht, ein poetisches Aneignungsverfahren, das schon seinen ersten Gedichtband wesentlich prägt. In Agnetendorf lebte und arbeitete bis 1946 der Dichter und Dramatiker Gerhart Hauptmann. Seit den endneunziger Jahren des 20. Jahrhunderts dient dessen Villa als Museum und Begegnungsstätte für Künstler aus Ost und West. (Aus dem Nachwort von Jayne-Ann Igel)

Nasser Weg // dieser Weg alles Irdischen / der mir Steine ins Bachbett legt / Reifträger haben sich warmgelaufen / die Wolkendecke hält dicht // Mokry Szlak / im oberen Verlauf eine Zeitlang / nach Hitler benannt / auf Holzplanken trockengelegt // Geschichte kommt über den Laufsteg / glitschige Wiedergänger treten / mit Schmugglergesichtern aus dem Nebel // ich bin schon fast übern Berg / auf dem nassen Weg in rutschige Gegend geraten / wer hat wem die Sprache verschlagen // Gegend das heißt / für etwas sein / nahe am Mittelpunkt / das bedeutet zu Tal gespült werden / vom reinigenden Gewitter // unentwegt


Patrick Wilden, geboren 1973 in Paderborn, schreibt Gedichte, Rezensionen und Kurzprosa und ist Redakteur der Literaturzeitschrift Ostragehege. Nach Schulzeit in der Region Kassel, Studium in Tübingen und Verlagsvolontariat in Stuttgart arbeitete er viele Jahre in einem Antiquariat in Dresden, er lebt dort und in Leipzig. 2019 erschien sein Gedichtband Alte Karten von Flandern als Raniser Debüt. Im Frühjahr 2016 lebte er eine Zeitlang im polnischen Riesengebirge, schrieb einen Großteil der Gedichte und machte die Aufnahmen für diesen Band.


Stimmen zu
Schreibers Ort: „Der Band enthält mehrere Zyklen, deren Titel als Synonyme für die Suche nach Sprache aufgefasst werden können – ‚Klemmton‘, ‚Das Gedicht im Gebirge‘, ‚Schreibers Ort‘. Alles ist fremd bei den ersten Erkundungen des Terrains“. (…) Erst einmal heimisch geworden, geht dem Dichter das Schreiben von der Hand, entwickelt er ein Ohr für den Klang der hiesigen Sprache, schärft den Blick auf die Menschen und die geschichtsträchtigen Orte. (…) Schreibers Ort findet zu einer schönen gediegenen Sprache und zu Bildern, die man sich gern zu seinen eigenen macht. Ein Buch, das Lust auf Gedichte macht. Besser kann es nicht kommen.“ (Axel Helbig, Dresdner Neuesten Nachrichten, 06.07.22) – „So erlebt Patrick Wildens Lesegemeinde in Schreibers Ort literarisierte Ankünfte jenseits der Zeit. Denn dazu sind diese Gedichte von einer unprätentiösen, zeitlosen Schönheit, die sich auch in den verschiedenen Vers- und Strophenformen widerspiegelt, von freien, prosanahen Textblöcken wie in Klemmton über vielgestaltig freirhythmische und in unterschiedlichste Strophenkombinationen gegossene Verse bis hin zu einer fast formstrengen Sestine im titelgebenden Gedicht des Zyklus‘ Stadt Land Kuss. In dieser Überzeitlichkeit findet zudem auch beinahe wie von selbst eine Versöhnung der Nachmoderne mit dem Überlieferten statt.“ (Marcus Neuert, literaturkritik.de)
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